Jesus, im Islam als Isa bekannt, ist eine der bedeutendsten und ehrwürdigsten Figuren sowohl im Christentum als auch im Islam. Während das Christentum ihn als den Sohn Gottes und den Retter der Menschheit verehrt, wird Jesus im Koran als ein Prophet Gottes angesehen, der mit einer besonderen Botschaft zu den Kindern Israels gesandt wurde. Diese Darstellung Jesu im Koran unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der christlichen Vorstellung, insbesondere in Bezug auf seine Kreuzigung, seine Göttlichkeit und seine Rolle in der Heilsgeschichte. Trotz dieser Unterschiede ist Jesus im Koran eine bedeutende Persönlichkeit, die eine besondere Stellung unter den Propheten einnimmt.
Jesus im Koran: Ein Prophet und Gesandter Gottes
Im Islam gilt Jesus, wie auch im Christentum, als heilig. Doch die Auffassung über seine Person unterscheidet sich grundlegend. Im Koran wird Jesus als Prophet, Gesandter und Diener Gottes dargestellt. Er wird als „Isa ibn Maryam“ (Jesus, Sohn der Maria) beschrieben, was seine menschliche Herkunft betont. Der Koran erkennt Jesu außergewöhnliche Geburt an, da er durch ein Wunder geboren wurde – von der Jungfrau Maria (Maryam), ohne dass ein Mann beteiligt war. Dies wird als Zeichen von Gottes Allmacht gesehen, und die Bezeichnung „Wort Gottes“ (Kalimatullah) und „Geist von Gott“ (Ruhullah) unterstreichen seine besondere Rolle, aber sie bedeuten nicht, dass Jesus eine göttliche Natur hat.
In Sure 19:16-34 (Sure Maryam) wird die Geburt Jesu beschrieben. Maria wird von einem Engel darüber informiert, dass sie durch Gottes Willen einen Sohn gebären wird. Sie bringt Jesus allein und in Einsamkeit zur Welt, und schon als Säugling verteidigt er seine Mutter, als sie zur Gemeinschaft zurückkehrt. Jesus spricht als Neugeborener und erklärt, dass er ein Diener Gottes ist, ein Prophet, der mit einem Buch gesandt wurde.
Die Wunder Jesu im Koran
Ein weiterer bedeutender Aspekt der Darstellung Jesu im Koran sind seine Wunder. Der Koran beschreibt zahlreiche Wunder, die Jesus durch die Erlaubnis Gottes vollbracht hat. In Sure 3:49 wird berichtet, dass Jesus Blinde heilte, Leprakranke reinigte und sogar Tote wieder zum Leben erweckte. Ein einzigartiges Wunder, das nur im Koran erwähnt wird, ist die Schöpfung eines Vogels aus Lehm, den Jesus mit Gottes Erlaubnis lebendig macht. Diese Wunder zeigen die besondere Stellung Jesu im Islam, betonen jedoch stets, dass es Gott ist, der ihm diese Fähigkeiten verlieh, und nicht seine eigene göttliche Natur.
Die Rolle Jesu im Islam
Im Koran wird Jesus als einer der großen Propheten und Gesandten Gottes verehrt, der zu den Kindern Israels gesandt wurde, um sie zur Anbetung des einen wahren Gottes zurückzuführen. Anders als im Christentum, wo Jesus als göttlicher Erlöser der gesamten Menschheit betrachtet wird, wird Jesus im Koran als Prophet gesehen, der speziell zu den Israeliten gesandt wurde. Seine Mission war es, die Menschen zu rechtleiten und sie an den wahren Glauben an den einen Gott (Allah) zu erinnern.
Sure 5:116-117 beschreibt eine Szene, in der Gott am Tag des Jüngsten Gerichts Jesus fragt, ob er die Menschen dazu aufgefordert habe, ihn und seine Mutter als Götter neben Allah anzubeten. Jesus antwortet, dass er nie eine solche Behauptung aufgestellt habe und dass er stets gepredigt habe, Gott allein zu dienen. Diese Passage verdeutlicht den strikten Monotheismus des Islams, der jegliche Form der Vergöttlichung Jesu ablehnt.
Die Kreuzigung Jesu im Koran: Ein umstrittenes Thema
Einer der markantesten Unterschiede zwischen der Darstellung Jesu im Koran und der im Neuen Testament ist die Frage seiner Kreuzigung. Im Neuen Testament ist die Kreuzigung Jesu das zentrale Ereignis der christlichen Heilsgeschichte, das seinen Tod als Sühneopfer für die Sünden der Menschheit beschreibt. Im Koran hingegen wird die Kreuzigung Jesu bestritten. In Sure 4:157-158 heißt es:
„Und wegen ihrer Rede: ‚Wir haben den Messias, Jesus, den Sohn Marias, den Gesandten Allahs, getötet.‘ Aber sie haben ihn nicht getötet und nicht gekreuzigt, sondern es erschien ihnen nur so. Wahrlich, diejenigen, die darüber uneins sind, befinden sich in Zweifel darüber. Sie haben kein Wissen davon, sondern folgen nur einer Mutmaßung. Sie haben ihn jedoch gewiss nicht getötet. Nein, Allah hat ihn zu Sich emporgehoben.“
Diese Verse legen nahe, dass Jesus nicht tatsächlich gekreuzigt wurde. Stattdessen wurde jemand, der ihm ähnlich sah, gekreuzigt, während Jesus von Gott in den Himmel erhoben wurde. Die Kreuzigung Jesu gilt im Islam also nicht als tatsächliches historisches Ereignis, sondern als eine Illusion für die Menschen. Jesus starb nicht, sondern lebt weiterhin und wird am Ende der Zeiten auf die Erde zurückkehren, um gemeinsam mit dem Mahdi, einer anderen zentralen Figur der islamischen Endzeitvorstellungen, Gerechtigkeit und Frieden zu bringen.
Historische Einordnung: Die Kreuzigung Jesu als gesichertes Ereignis
Obwohl der Koran die Kreuzigung Jesu bestreitet, gibt es aus historischer Sicht zahlreiche Belege dafür, dass die Kreuzigung Jesu ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis ist. Die Kreuzigung gilt als eines der am besten belegten Ereignisse in der antiken Geschichte. Diese Ansicht basiert auf einer Vielzahl von Quellen, die sowohl aus der christlichen als auch aus der nichtchristlichen Welt stammen.
1. Die Evangelien als historische Quelle
Die Evangelien des Neuen Testaments sind die primären Berichte über das Leben und den Tod Jesu. Diese Texte wurden innerhalb von ein bis zwei Generationen nach dem Tod Jesu niedergeschrieben und basieren auf mündlichen Überlieferungen und Augenzeugenberichten. Historiker sind sich einig, dass die Evangelien trotz ihrer theologischen Ausrichtung wertvolle historische Informationen enthalten. Alle vier Evangelien stimmen darin überein, dass Jesus von den Römern unter der Führung von Pontius Pilatus gekreuzigt wurde. Diese Kreuzigung ist ein Ereignis, das sowohl in christlichen als auch in römischen Quellen dokumentiert ist.
2. Nichtchristliche historische Berichte
Zusätzlich zu den Evangelien gibt es auch Berichte von römischen und jüdischen Historikern, die die Kreuzigung Jesu bestätigen. Der römische Historiker Tacitus erwähnt in seinen „Annalen“, dass Christus unter der Regierung von Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Dieser Bericht gilt als unabhängige Bestätigung der Kreuzigung Jesu.
Auch der jüdische Historiker Flavius Josephus erwähnt in seinen Schriften Jesus und seine Kreuzigung. Obwohl es später christliche Ergänzungen in seinen Texten gab, sehen Historiker in seinen Berichten eine wertvolle außerchristliche Bestätigung der Kreuzigung.
3. Plausibilität der Kreuzigung
Die Kreuzigung war eine übliche Hinrichtungsform der Römer, die besonders für Aufständische und politische Gegner genutzt wurde. Jesus wurde von den Römern als eine Bedrohung für die Stabilität gesehen, da er als religiöser Führer große Menschenmengen anzog. Die Vorstellung, dass die frühen Christen die Kreuzigung Jesu erfunden hätten, ist aus historischer Sicht unwahrscheinlich, da die Kreuzigung als eine besonders schmachvolle und schändliche Hinrichtungsart galt. Dies stärkt die Glaubwürdigkeit der Berichte über die Kreuzigung, da sie die Grundlage der christlichen Lehre bildet, obwohl sie für die damalige Zeit eine Herausforderung darstellte.
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Unterschiede: Jesus in den frühsten Berichten vs Jesus im Koran
Hier ist die vereinfachte Tabelle mit den Unterschieden zwischen Jesus im Koran und Jesus in den frühsten Berichten:
Thema | Jesus im Koran | Jesus in den frühsten Berichten |
---|---|---|
Göttlichkeit | Jesus ist ein Prophet und Diener Gottes, nicht göttlich. | Jesus ist die Erscheinung Gottes und wird daher als Sohn Gottes bezeichnet. Er ist somit göttlich. |
Kreuzigung | Jesus wurde nicht gekreuzigt, es erschien nur so. | Jesus wurde gekreuzigt und ist für die Sünden der Menschheit gestorben. |
Sündenvergebung | Jesus stirbt nicht für die Sünden der Menschheit | Jesu Tod am Kreuz bietet Sündenvergebung für die gesamte Menschheit. Bedingung: Glaube an Jesus als den Sohn Gottes |
Wunder | Jesus vollbringt große Wunder durch Gottes Erlaubnis. | Jesus vollbringt große Wunder unter anderem als Zeichen seiner göttlichen Natur. |
Geburt | Jungfräuliche Geburt durch Maria, ein Zeichen von Gottes Macht. | Jungfräuliche Geburt durch Maria, Zeichen seiner göttlichen Herkunft. |
Rolle am Ende der Zeiten | Jesus kehrt am Ende der Zeiten zurück, um mit dem Mahdi Gerechtigkeit zu bringen. | Jesus kehrt zurück, um die Welt zu richten und das Reich Gottes zu vollenden. |
Die Koranische Sicht auf Jesus: Erklärung der Kreuzigungsdiskrepanz
Die Diskrepanz zwischen der historischen Darstellung der Kreuzigung und der Darstellung von Jesus im Koran erklären Muslime durch den Glauben an die göttliche Offenbarung des Korans. Sie betrachten den Koran als die endgültige, unverfälschte Wahrheit, die historische Missverständnisse oder verfälschte Berichte, wie in den Evangelien, korrigiert.
Der Koran besagt, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde, sondern es nur so erschien (Sure 4:157). Muslime argumentieren, dass menschliche Berichte, einschließlich der Evangelien, fehlerhaft oder verändert sein könnten. Einige Gelehrte bieten alternative Interpretationen an, wie die Theorie, dass jemand anderes an Jesu Stelle gekreuzigt wurde. Letztlich beruht der muslimische Glaube darauf, dass Gottes Wissen über die menschliche Geschichte hinausgeht und die koranische Darstellung von Jesus die wahre göttliche Realität darstellt.
Schlussfolgerung: Jesus im Koran und aus historischer Sicht
Die Figur Jesus im Koran und die historische Figur Jesu, wie sie in den Evangelien und außerbiblischen Quellen beschrieben wird, zeigen uns zwei unterschiedliche Perspektiven auf eine der zentralen Gestalten der Weltreligionen. Während der Koran Jesus als einen großen Propheten darstellt, der jedoch nicht gekreuzigt wurde und nicht göttlich ist, bestätigt die historische Forschung die Kreuzigung Jesu als ein reales Ereignis, das durch verschiedene Quellen belegt wird.
Diese Differenzen in der Darstellung Jesu unterstreichen die grundlegenden theologischen Unterschiede zwischen Islam und Christentum. Während im Christentum der Tod und die Auferstehung Jesu die zentrale Botschaft der Erlösung bilden, bleibt Jesus im Koran ein Prophet und Diener Gottes, der am Ende der Zeiten zurückkehren wird, um Gerechtigkeit zu bringen.
Trotz der unterschiedlichen Vorstellungen bleibt Jesus im Koran eine ehrwürdige und bedeutende Figur, die von Millionen von Muslimen weltweit verehrt wird. Die historische und theologische Auseinandersetzung mit Jesus zeigt uns, wie unterschiedlich die Weltreligionen denselben historischen Charakter interpretieren können und welche tiefgreifenden Bedeutungen er in beiden Glaubensrichtungen trägt.
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